Aus einer Anfrage an das Innenministerium des Landes durch das Journalistenbüro „kevennau.press“ geht hervor, dass die sachsen-anhaltinische Polizei in ihrem Informationssystem „INPOL“ 64 Menschen mit HIV, Hepatitis B und C mit dem Warnhinweis „ANST“ für „ansteckend“ gekennzeichnet hat.

Derartige „personengebundene Hinweise“ (PHW) in der Polizeidatenbank werden im Rahmen der Ermittlung vergeben und sollen als Warnhinweise für Beamt_innen im Dienst dienen. Wenn der Polizei also während eines laufenden Verfahrens bekannt wird, dass die Person, gegen die ermittelt wird, eine HIV-, HBV- oder HCV-Infektion hat, wird diese Information in der Polizeidatenbank gespeichert. Bei weiteren Personenabfragen wird im Folgenden den Beamt_innen der Hinweis auf eine vermeintlich akute und bedrohliche Ansteckungsgefahr angezeigt. Bisher war eine solche Kennzeichnung nur aus Bundesländern wie Bayern, NWR und Niedersachsen bekannt. Seit November letzten Jahres gilt nun auch als gesichert, dass die Polizei in Sachsen-Anhalt ebenso verfährt.

Einerseits ist dies nicht erstaunlich, da die Innenministerkonferenz erst vor zwei Jahren die unbedingte Notwendigkeit der Nutzung von personenbezogenen Markern zur Eigensicherung von Polizist_innen erneut verteidigt hat. Sie sei – so wird beständig wiederholend beteuert - eben die einzige Möglichkeit, die potentielle Ansteckung von im Dienst befindlichen Polizeibeamt_innen verhindern zu können. Andererseits wird dieses Vorgehen seit Bekanntwerden von verschiedensten Fachverbänden fachlich und ethisch infrage gestellt und mit heftigem Widerstand bekämpft. Bereits 2015 hat die Deutsche AIDS-Hilfe diese polizeiliche Informationspraxis in ihrer Münchner Erklärung als kontraproduktiv sowie stigmatisierend verurteilt und sich rigoros gegen die polizeiliche Sammelwut ausgesprochen.

Das Innenministerium unterstellt mit dem Festhalten an der Kennzeichnung in ihrer Datenbank ein hohes Risiko der Übertragung von HIV und Hepatitis im Polizeidienst und glaubt trotz aller dagegen sprechender Expert_innenmeinungen, ihre Beamt_innen so vor einer Infektion schützen zu können. Diese Vorstellung ist jedoch gesundheitspolitisch vollkommen unsinnig. Den behaupteten Zweck der Eigensicherung kann ANST aus vielerlei Gründen überhaupt nicht erfüllen. Zunächst einmal ist es höchst unwahrscheinlich, dass es im Rahmen gängiger polizeilicher Tätigkeiten zur Übertragung von HIV oder von Hepatitis kommen kann und demnach zwingende Präventionsbemühungen unvermeidlich seien. Unberücksichtigt bleibt in diesem Zusammenhang zudem die Tatsache, dass hierzulande die allermeisten Menschen mit HIV den Virus gar nicht weitergeben können, da sie aufgrund der medikamentösen Therapie nicht mehr infektiös sind. Auch HBV und HCV können heute vollständig ausgeheilt werden. Verbleibend auf dem Stand der Eintragung kann die Information von ANST nie den aktuellen Status wiedergeben. Da das Kürzel außerdem nicht einmal genau angibt, um welche Infektionskrankheit es sich handeln soll, hat es wenig bis gar keinen Aussagewert für präventive Maßnahmen. In Verbindung mit einem Unwissen über mögliche Übertragungswege trägt ANST in seiner Vagheit vielmehr dazu bei, dass Polizist_innen sich beim Umgang mit den Betroffenen eher von möglichen unbegründeten Ängsten leiten lassen.

Nicht nur aus fachlicher Sicht ist ANST unhaltbar. Auch moralisch ist die Speicherung derartig gesundheitsbezogener Daten nicht legitimierbar. So verletzt der Vermerk in der Datenbank durch das vorgenommene Zwangsouting das Grundrecht einer jeden Person auf informelle Selbstbestimmung. Umso problematischer ist dieser Tatbestand, da für die Aufnahme des Vermerks in der Datenbank der bloße Verdacht auf eine Straftat ausreicht und dieser selbst dann bestehen bleibt, wenn das Verfahren eingestellt und mit einem Freispruch beendet wurde. Ferner schürt der mitschwingende kriminalisierende Generalverdacht gegen Menschen mit HIV und Hepatitis die gesellschaftlich nach wie vor wirksamen irrationalen Vorurteile bezüglich sexuell übertragbaren Infektionen und bestärkt damit die bestehende Stigmatisierung und Diskriminierung. Nicht zuletzt stellt dies ein nicht unerhebliches Problem für die Präventionsbemühungen der Aidshilfen dar, da HIV-bezogene Diskriminierung Menschen von einem HIV-Test oder von einer notwendigen Therapie abhalten kann.

Selbstverständlich geht es auch der halleschen Aidshilfe darum, eine potentielle Ansteckung mit HIV, HBV oder HCV zu vermeiden. Der personengebundene Hinweis ANST leistet hierzu jedoch keinen Beitrag. Sowohl aus Sicherheits- als auch ethischen Gründen erscheint es unverständlich, an dieser überflüssigen und stigmatisierenden Praxis festzuhalten. Das Wissen um infizierte Menschen ist keine wirksame präventive Methode. Einzig das Wissen um mögliche Übertragungswege und Schutzmöglichkeiten ist in diesem Zusammenhang sinnvoll. Präventive Maßnahmen sollten auch nicht nur getroffen werden, wenn der Vermerk ANST in den Akten auftaucht, sondern grundsätzlich bei jedem Einsatz. Sollte es dann zu Verletzungen oder Blutkontakt gekommen sein, muss folglich im Einzelfall geprüft werden, ob denn überhaupt ein Übertragungsrisiko bestand und welche Schritte (bspw. das Verschreiben einer präventiven Postexpositionsprophylaxe) eingeleitet werden müssen.

Die Aidshilfe Halle plädiert aus den genannten Gründen für die sofortige Abschaffung von ANST und der Löschung aller in diesem Kontext gespeicherten Daten. Stattdessen stehen wir für eine wissenschaftlich fundierte Aufklärung über Übertragungswege und –wahrscheinlichkeiten sowie Schutzmöglichkeiten und Risikomanagement im Polizeidienst. Die hallesche Aidshilfe bietet den regionalen Polizeistellen hierbei gern ihre Hilfe und Unterstützung an und ist bereit, entsprechende Weiterbildungsseminare für Polizeibeamt_innen durchzuführen.

Text: Martin Thiele
Bild: MaHa